Essay über die Beziehung zwischen Tantra und Hatha Yoga
Essay über die Beziehung zwischen Tantra und Hatha Yoga
Aus der Zeit der Veden und Upanisaden sind lediglich Meditationshaltungen (Asana = Sitz) überliefert. Yoga diente in früheren Traditionen dem Finden der Erleuchtung durch regelmäßige Meditation. Die altindische Philosophie ist geprägt von männlichen Überzeugungen. Sie war ausschließlich den Brahmanen, den Mitgliedern der höchsten Kaste, zugänglich. Dieser Zustand rief die Tantriker, welche als Revolutionäre ihrer Zeit zu betrachten sind, auf den Plan.
Mit viel Kreativität suchten und fanden sie Wege und Methoden, auch wenn sie keine Brahmanen waren und niedrigeren Kasten angehörten, zur Erleuchtung zu finden. Damit krempelten sie die gesamte Religionswelt um. In der westlichen, wie auch in der östlichen Welt wurden über Jahrhunderte hinweg Spiritualität und Körperlichkeit strikt getrennt. Tantra wirft diese Trennung über den Haufen und wird damit zu einer der buntesten und schillerndsten Blühten der indischen Kultur. Es ist die Hinwendung zur Welt als Stätte des Genusses, Bhogaloka, und zu Gottes süßem Spiel, Lila. Die Welt wird nicht mehr nur als eine Anhäufung von Übel gesehen, die es zu überwinden gilt, um Kaivalia, die Befreiung, zu erlangen. Der Mensch soll die Welt, durch die er hindurchgehen muss, für sich be/nutzen und sich nicht von ihr abwenden. Die Silbe „tan“ bedeutet „ausbreiten“, „fortsetzen“, „vermehren“. Tra heißt „Werkzeug“. Tantra ist demnach das Werkzeug, das die Erkenntnis ausdehnt. Der hinduistische Tantra gründet auf die Samkhya-Philosophie und den Advaida-Vedanta der Upanishaden. Vedanta lehrt die uranfängliche Einheit, wobei der Samkhya die Dualität von Purusa und Prakriti beschreibt. Im Tantrismus werden daraus die beiden Pole Shiva (göttlicher Urgrund) und Shakti (weibliche Urkraft). Die bis dahin stark verdrängte Weiblichkeit gelangt wieder zu ihrem Recht. Alle Menschen werden als gleichwertig betrachtet und damit die Frauen den Männern gleichgestellt. Tantra sucht nach Freiheit ohne gesellschaftliche Zwänge. Der Tantra-Weg der „linken Hand“, der die Reinheits- und Ernährungsvorschriften der brahmanischen Hinduismus ablegt und verbotene Dinge bewusst miteinbezieht, verfolgt das Ziel, körperlichen Genuss als Ritual zu feiern und so Erleuchtung zu erfahren. Die verbotenen Dinge (fünf „M“ = Panca Makara) sind: Mamsa (Fleisch), Matsya (Fisch), Mudra (gerüstetes Getreide, Halluzinogene, Aphrodisiaken) und Maithuna (sexuelle Vereinigung). Die bewusste Wahrnehmung rückt in den Vordergrund. Nicht noch mehr Fleisch, Wein oder Sex machen glücklicher sondern das bewusste Erleben körperlichen Wohlgefühls mit allen Sinnen. Die unterschiedlichsten Bewusstseinsbereiche erleben dadurch eine Aktivierung, wobei sich eine mystische Dimension eröffnet. Tantra verkörpert ein neues Lebensgefühl, das alte Muster durchbricht und so den Dualismus überwindet. Der „rechtshändige Tantrismus“ basiert auf dem Dialog zwischen Shakti, der weiblichen und dynamischen Kraft, und Shiva, dem männlichen und statischen Aspekt. Shakti erhebt sich zum Tanz. Vijnana Bhairava Vers 69: „Die Freude, die im Moment der Vereinigung mit der Shakti (Partnerin) durch die Erregung bei dem vollen Eindringen erfahren wird, ist wie die Seligkeit Brahmans. Es ist die Freude des eigenen Selbst.“ Die erotische und sexuelle Energie, Kundalini, erwacht und steigt durch die Chakras auf. Dabei aktiviert sie die verschiedenen Bewusstseinsbereiche. Es entsteht ein Strom dynamischer Kreativität und körperlichen Wohlgefühls. Shakti vereinigt sich im siebten Chakra mit Shiva. Aus Zwei wird Eins. Subjekt ist gleich Objekt und verschmilzt zu einer Einheit. Ein gesundes Verhältnis zum Sex und zur Körperlichkeit entsteht. Sexuelle Energie zu nutzen, um damit die eigene Entwicklung voranzutreiben, wird legitim. Sich dabei seiner Instinkte und Begierden bewusst zu sein, ist Yoga. Osho ist der Meinung, dass Sex als natürlich anzusehen ist und als revolutionäre Botschaft aufgegriffen werden sollte. Jeder Mensch soll sich so akzeptieren, wie er ist, liebevoll und voller Lebensfreude mit jeder seiner Energieströmungen mitgehen. So kann jede Begierde zum Sprungbrett in eine höhere Dimension genutzt werden. Körper, Geist und alle Gefühlsregungen sind gottgegeben. Tantra entdeckt den menschlichen Körper als Tempel Gottes. Damit ist der Tantriker bestrebt, seinen gesamten Körper so lange wie möglich vollkommen gesund, beweglich und leistungsfähig zu halten. Aus dieser Geisteshaltung geht Hatha-Yoga hervor. Ha bedeutet „Sonne“ und Tha heißt „Mond“. Damit bezieht sich Hatha-Yoga auf die beiden wichtigen Energiebahnen Ida-Nadi und Pingala-Nadi. Im Hatha-Yoga besitzt der menschliche Körper sehr große Bedeutung. Spezielle Reinigungstechniken, Asanas, Pranayama und Meditation stärken und harmonisieren Körper, Geist und Atem. Das passiert mit dem Bestreben, die eigene Lebensspanne und so die irdische Zeit für spirituelle Praxis auf dem Weg zu Samadhi, der Erleuchtung, zu verlängern.
Katrin Burga Steiner – Yogalehrerin BDY/EYU